Liebe Freunde, Familie, Bekannte, Interessenten,
liebe Spender,
ein unachtsamer Moment, zum Teil in den lapidarsten Situationen und das Leben steht Kopf. Alles ändert sich von der einen auf die andere Sekunde. Diagnose: Querschnittslähmung.
Genauso ist es uns ergangen. Uns, weil so ein Schicksalsschlag nie nur eine Person trifft, sondern das Leben aller ändert.
Wir – dahinter steckt Andi selbst, der nun querschnittsgelähmt ist, seine Familie, seine Freunde und gute Bekannte. Wir möchten Euch Andis Geschichte erzählen.

Andi ist 30 Jahre alt, kommt aus Pocking (Landkreis Passau, Deutschland) und arbeitet als Projektleiter im Anlagenbau (Heizungs- Lüftungs- und Klimatechnik).
Er ist schon immer ein sehr lebensfroher, aktiver und vor allem handwerklich begabter Mensch gewesen. Bis zum Unfall am 11.09.2021. Der Tag an dem sich alles änderte.
Der Unfall
Ich selbst habe einen Pool bei meinen Eltern aufgestellt und als Corona-Projekt verkleidet. Wochenlange Arbeit sind da hineingeflossen. Als ich am 11.09.2021 den Pool abdecken wollte und am Beckenrand entlangging, passierte es, so unscheinbar und schnell, dass ich nicht mal wirklich reagieren konnte. Ich bin einfach ausgerutscht, total unspektakulär. Ich bin unkontrolliert in den Pool gefallen, bin auf die andere Seite des Pools getrieben und bin mit meinem Kopf am inneren Beckenrand angestoßen. Ab diesem Moment konnte ich nichts mehr bewegen. Ich habe versucht Hilfe zu rufen, aber konnte nicht mal meinen Kopf bewegen. Mit dem Gesicht im Wasser in einem Körper, der einem nicht mehr gehorcht, gefangen. Ich war mir sicher jetzt zu ertrinken. Irgendwann konnte ich dann doch meinen Kopf minimal nach links und rechts drehen und habe es so geschafft auf mich aufmerksam zu machen.
Zum Glück waren zu dem Zeitpunkt auch drei Freunde im Garten, die Andi da im Wasser sahen und gleich reagiert haben. Vorsichtig zogen sie ihn aus dem Wasser und bemühten sich den Kopf durchgehend zu stabilisieren. Sofort wurde der Notarzt angerufen und Andi wurde direkt ins Krankenhaus gebracht.
Was folgte, war nur noch ein reiner Überlebenskampf für Andi. Und gefühlt ewige Stunden voller Angst und Verzweiflung für Freunde und Familie. Keiner konnte uns sagen, ob er es schafft, und wenn er es schafft, was dann mit ihm sein wird. Und was das Ganze noch viel schlimmer machte: Andi musste da allein durch, weil aufgrund der Corona-Lage niemand mitfahren oder in das Krankenhaus durfte.
6 Stunden später, kam der Anruf: „Ihr Lebenspartner wurde notoperiert, die OP ist gut verlaufen. Aber er ist jetzt halsabwärts gelähmt und wir können nicht sagen, ob er jemals wieder mehr als seinen Kopf bewegen wird. Wir müssen abwarten, aber Sie dürfen kommen.“
Andi hat sich bei dem Unfall den 5. und 6. Halswirbel gebrochen. Diagnose: inkomplette Querschnittslähmung.
Die ersten Tage auf der Intensivstation
Als meine Freundin kam, konnte ich nur meine Augen bewegen. In meinem Mund steckte ein Intubationsschlauch und mein ganzer Körper und auch mein Kopf waren fixiert. Einmal blinzeln „ja“, zweimal blinzeln „nein“. Wir haben uns nur kurz unterhalten, weil ich es nicht länger ausgehalten habe.
Aufgrund der hohen Lähmung und die durch den spinalen Schock einhergehende Schwellung war auch die Atemmuskulatur und somit das Zwerchfell betroffen. Alleine Atmen funktionierte bei Andi nicht mehr, daher war ein Luftröhrenschnitt unabdingbar und so bekam Andi eine Trachealkanüle.
Ich konnte nicht sprechen und musste die erste Zeit durchgehend beatmet werden. Für wenige Minuten am Tag wurde die Beatmung abgenommen und ein Sprechaufsatz aufgesetzt, somit hatte ich zumindest kurz die Möglichkeit gehabt mich zu äußern. Wenn man sich schon nicht bewegen kann, ist eine der schlimmsten Sachen, sich zusätzlich auch nicht mitteilen zu können. Meine Freundin hat zwar Sprechtafeln gebastelt, aber die Kommunikation war dennoch alles andere als einfach.

Wir hatten das Glück, dass wir eine Freundin als Krankenschwester auf der Intensivstation hatten, die immer treu Andi in der Nacht überwacht hat. Liebe Melli, vielen lieben Dank dafür!
Langsam kam ein Gefühl im Körper zurück. Nach drei Tagen konnte ich meine Arme minimal heben, aber sie fielen mir sofort wieder runter. Ich wollte unbedingt von der Beatmung wegkommen und habe ständig mit den Therapeuten mit speziellen Geräten versucht, meine Lunge zu trainieren, solange bis mir schwarz vor Augen wurde. Da ich nicht abhusten konnte, musste meine Lunge immer wieder abgesaugt werden, was ziemlich schmerzhaft war. Eine meiner schlimmsten Nächte war die Nacht in der ich alle 20 Minuten abgesaugt werden musste, da ich sonst keine Luft bekommen hätte.
Verlegung in eine Spezialklinik für Rückenmarksverletzte
Nach 10 Tagen Intensivstation wurde Andi in einer Spezialklinik für Rückenmarksverletzte aufgenommen. Der Kampf ging nun in der Unfallklinik in Murnau weiter. Andi wurde nebenbei immer wieder langsam mobilisiert: Aufrechtes Sitzen im Bett oder Sitzen im Pflegerollstuhl. Ziel war es den Kreislauf zu trainieren und zu stabilisieren. Nach einer weiteren Woche auf der Beatmungsstation und vielen anstrengende Lungentrainingseinheiten funktionierte das Atmen endlich wieder selbstständig. Das Tracheostoma konnte entfernt werden und er konnte auf die allgemeine Querschnittsstation verlegt werden.
Gleich zu Beginn bekam Andi auch schon im Bett Ergotherapie und Physiotherapie.
30. Geburtstag im Krankenhaus

Knapp einen Monat nach dem Unfall wurde Andi 30. Alle Freunde, Bekannte und seine Arbeitskollegen haben ein Video mit Glückwünschen und Genesungswünschen erstellt. Die engste Familie durfte zu Besuch ins Klinikum kommen.
Ich habe mir meinen 30. Geburtstag ganz anders vorgestellt. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet ihn im Krankenhaus feiern zu müssen. Aber es war trotz den Umständen und dank Familie und Freunden ein schöner Tag.
Wenn Selbstständigkeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist
Die Nase juckt, das Auge brennt, der Arm geht nicht von selbst runter, das Essen muss eingegeben werden, nichts halten können und vieles mehr... All die kleinen Dinge, die wir nicht-gelähmten teilweise unbewusst ausführen und für uns so selbstverständlich sind, so dass wir daran nicht mal einen Gedanken verlieren, waren für Andi unmöglich.
Die erste Zeit wurde Andi nur im Pflegerollstuhl geschoben. Langsam regulierte sich auch sein Kreislauf und er wurde mit einem Elektrorollstuhl ausgestattet.
Fleißig fuhr er jeden Tag, wenn möglich, ein Stockwerk tiefer zu den Therapieräumen.
Gleichgewichtstraining war in der Physiotherapie angesagt. Klingt einfach, ist es aber nicht. Es funktionierte anfangs alles andere als gut, ehrlich gesagt funktionierte es gar nicht. Durch die hohe Lähmung ist auch die gesamte Rumpfmuskulatur betroffen. Andi fiel immer wieder auf der Therapieliege um. Allein Sitzen in dieser Zeit war unmöglich gewesen.
In der Ergotherapie versuchte man sich langsam mit dem Esstraining, nur ging der Arm nicht so weit nach oben, um den Mund zu treffen und das Handgelenk war trotz intensivem Training noch viel zu schwach, als dass es das Gewicht der Manschette inkl. Besteck halten konnte. In solchen Momenten wurde einem bewusst, wie gravierend so eine Verletzung ist, wenn Selbstständigkeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Ein sehr langer Weg stand ihm nun bevor.
Mit der Zeit hoffte ich, dass sich langsam der Alltag auch in einem Krankenhaus einspielte. Aufstehen, Morgenroutine, Therapien, müde ins Bett fallen. Nur sahen meine Tage oft anders aus.
Ständig folgte eine Komplikation auf die andere. Unter anderem hatte Andi stark mit der Temperaturregulationsstörung zu kämpfen und konnte deswegen oft nicht an den Therapien teilnehmen.
Allerdings ist und war Andi schon immer ein sehr ehrgeiziger und zielstrebiger Mensch. Und diesen Kämpfergeist hat er auch in der Klinik immer wieder bewiesen. Egal wie groß die Schwierigkeiten waren, aufgeben kam nicht in Frage. Nach zwei Monaten überredete er die Physio, ihn mit einem Aktivrollstuhl auszustatten. Die Physiotherapeutin hatte zwar insoweit Recht, dass die Kraft und die Funktionen bei Weitem noch nicht für das Antreiben des Rollstuhls ausreichten, aber Andi wollte es versuchen.
Die ersten Wochen konnte ich nur ca. 5 Mal antreiben (3 - 4 m) und hab danach eine Pause gebraucht. Wirklich vorwärts bin ich nicht gekommen. Meine rechte Seite war auch stärker als die Linke, was zwangsläufig dazu führte, dass ich in den Gängen immer gegen eine Wand fuhr (🤭). Aber ich wollte nicht zurück in den E-Rollstuhl. Im 5. Stock der Klinik habe ich neben den Therapien immer wieder das Antreiben geübt. Es war unglaublich anstrengend. Ich war früher oft im Fitnessstudio, aber die Kraft, die man jetzt benötigt, war absolut nicht zu vergleichen.

175 Tage in der Unfallklinik in Murnau
Insgesamt war Andi 175 Tage in der Unfallklinik in Murnau. Dank der Tatsache, dass die Bewegung der Handgelenke zurückgekommen ist, waren nun all so Dinge wie Zähne putzen, Rasieren und Essen mit der richtigen Vorbereitung durch einen Pfleger ganz allein möglich. Einen sehr geringen Teil der eigenen Selbstständigkeit hat er somit wieder zurückerlangt. In dieser Zeit hat sich auch seine Lungenfunktion verbessert.
Nach 6 Monaten endete die Zeit in Murnau und durch eine Empfehlung haben wir uns dazu entschieden, dass Andi nun in das Rehabilitations- und Universitätsklinikum Ulm verlegt wird.
Verlegung in das Rehabilitations- und Universitätsklinikum Ulm
Am 14. März war es dann so weit. Abschied nehmen von den Patienten, Therapeuten und Pflegern in Murnau und auf zu dem neuen Lebensabschnitt RKU Ulm.
Aufgrund der Corona Situation musste Andi die ersten 5 Tage trotz negativen Tests in Isolation. Ulm ist ganz anders als Murnau, viel kleiner und das Gebäude, die Zimmer um einiges älter. Aber die Pfleger und Therapeuten dafür umso freundlicher, kompetenter und einfach menschlicher.
In Ulm ist viel mehr Selbstständigkeit gefragt. Jetzt musste das Bett selbst mit der Fernbedienung gesteuert werden. Die Klingel selbst gedrückt werden etc.. Und genau mit solchen Situationen wird man erfinderischer. Wenn die Finger nicht gehen, wird eben das Kinn zum Drücken der Tasten verwendet.
Schon nach der ersten aktiven Woche war Andi sehr angetan von Ulm. Durch andere Patienten mit der gleichen Läsionshöhe sah er, was mit diesem Zustand dennoch alles möglich ist. Eigenständiger Transfer durch Verriegeln etc., doch von all dem war er noch so weit entfernt. Verriegeln – auch wir haben zu dem Zeitpunkt noch nie etwas davon gehört.
Da Andi der Trizeps fehlt, bzw. dieser nur minimal angesteuert werden kann, kann er sich und seinen Körper nicht selbst hochheben und somit transferieren. Durch das Verriegeln, sprich der Außenrotation der Schulter und der damit einhergehenden Ellenbogenstreckung, kann es möglich sein sich auch ohne Trizeps zu transferieren etc.
Somit einer der wichtigsten Dinge, um wieder ein Stück mehr Selbstständigkeit zu erlangen und von keiner zweiten Person durchgehend abhängig zu sein.
Das war nun sein neues Ziel. Das Verriegeln lernen!
Die Tage und Wochen vergingen, Andi übte jeden Tag fleißig (vorausgesetzt die Rahmenbedingungen haben es zugelassen) mit den Therapeuten. Aufgrund seines Eifers bekam er bis zu 3x Physiotherapie täglich. Das Verriegeln wurde immer besser, jedoch reicht es noch nicht aus um sich selbst zu transferieren, da es neben der Technik, auch am Muskelaufbau und Gleichgewicht fehlt. Zudem sind die Spasmen und der Tonus in der Zeit in Ulm viel stärker und somit störender bei den Therapien geworden. Alles zusätzliche Steine, die einem in den Weg gelegt werden.
Aber in dieser Zeit haben sich die Bauchmuskeln aktiviert. Von einer Nacht auf die andere, kann Andi seinen Bauch bewusst anspannen.
Leider ist aber auch in Ulm viel Zeit aufgrund Corona verloren gegangen. Auf der Querschnittstation ist im April Corona ausgebrochen. Auch Andi wurde durch seinen Zimmergenossen angesteckt. Insgesamt 17 Tage am Stück Isolation, mit den ersten 5 Tagen bei der Ankunft, waren es 22 fehlende produktive Therapietage. Zeit, die erstmal aufgeholt werden muss. Denn jeder Tag ist wichtig.
Ich habe wirklich viel in Ulm lernen und mitnehmen können für Zuhause. Schön ist eine Zeit im Krankenhaus nie, denn Krankenhaus bleibt Krankenhaus. Aber die Therapeuten haben alles dafür getan mir diese Zeit so angenehm wie möglich zu machen. Ich bin allen in Ulm sehr dankbar und werde definitiv alle Nachbehandlungen auch in Ulm wahrnehmen. Die Therapeuten, die Pflege und vor allem auch die Ärzte waren alle sehr menschlich und für jeden Spaß zu haben.